Unterschied zwischen Berufsunfähig und Verlust der Grundfähigkeiten

Der Unterschied zwischen Berufsunfähigkeit und Verlust der Grundfähigkeiten besteht darin, dass die Berufsunfähigkeit eine Fertigkeit ist und die Grundfähigkeit eine Fähigkeit. Kein Wort verstanden, vermute ich…

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Also mal von ganz vorne: Fähigkeiten hat jeder gesunde Mensch von Geburt an. Fertigkeiten erlerne ich aktiv. Fahrradfahren z.B. oder Jonglieren. Deswegen ist der Grundfähigkeitsversicherung grundsätzlich egal, was ich kann. Was ich arbeite ist nur relevant, weil ich in vielen körperlichen Berufen eine höhere „Abnutzung“ habe. Je öfter ich mich hinknie, desto schneller verschleißt das Gelenk.
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Die BUV hat einen falschen Namen. Sie versichert meine Fertigkeiten. Und sie leistet nicht erst, wenn ich unfähig bin. Sie leistet schon, wenn ich aus gesundheitlichen Gründen meine Arbeit, so wie ich sie ausübe, nur noch zur Hälfte erledigen kann. Es kommt also ganz genau darauf an, was ich kann. Weil ich es so gelernt habe. Oder mir selbst beigebracht.

Das bedeutet aber auch, dass ich im Leistungsfall ganz genau erklären muss, was ich so den ganzen Tag gemacht habe. Sonst kann die Versicherungsgesellschaft ja nicht feststellen, ob ich zur Hälfte eingeschränkt bin.

Und wie individuell das ist, wirst du merken, wenn du bei der Tätigkeitsbeschreibung nur deinen Beruf angibst. Dann ist eine Bearbeitung nicht möglich. Denn jeder Bäcker backt anders. Manche backen nur die Lieferung aus der Zentrale auf. Andere stehen schon um 2 Uhr nachts auf, um den Teig vorzubereiten. Das muss die Versicherung alles wissen, um festzustellen ob du berufsunfähig bist.

Ein weiterer Unterschied zwischen der Berufsunfähigkeit und dem Verlust der Grundfähigkeiten ist, dass der Begriff der BU in den Paragrafen 172 ff. des VVGs definiert ist. Also haben wir hier zumindest ein Leitbild, an das sich Anbieter von Berufsunfähigkeitsversicherungen halten müssen.
Wir werden hier in Zukunft berichten, welche BU-Versicherung das besonders Gut macht.

Ob die Grundfähigkeitsversicherung unter den Paragrafen 177 VVG fällt, ist unklar. Hier steht, dass die Regelungen von 173-176 VVG, die für die BU-Versicherung gelten, auch für alle Verträge gelten, die eine Leistung für eine dauerhafte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit versprechen. Die Grundfähigkeitsversicherung leistet bei Verlust einer grundlegenden Fähigkeit. Mit der Arbeitsfähigkeit hängt das nicht direkt zusammen.

Ich will hier aber keine Versicherungsgesellschaft auf die falsche Fährte bringen. Derzeit tun noch alle Versicherer so, als wäre die GF-Versicherung eine Absicherung der Arbeitskraft. Also, alles gut. Es gibt aber keine Musterbedingungen oder sowas.

Deswegen sind Grundfähigkeiten alles, was die Gesellschaft in die Bedingungen schreibt. Da steht dann z.B. die Fähigkeit, sich eine Jacke anzuziehen. Oder eine Schraube in die Wand oder eine Glühbirne in die Fassung zu drehen.

Und das ist derzeit auch noch die größte Herausforderung, vor der die Grundfähigkeitsversicherung steht. Zwar denkt jeder, die GFV sei einfach, weil sie einfach zu erklären sein. Aber tatsächlich ist sie sehr schwierig zu vergleichen. Und der Leistungsfall ist sicherlich ähnlich kompliziert wie bei der BUV.

Es ist also weder das eine noch das andere immer die beste Lösung. Ich kann sogar mein Einkommen sinnvoll über eine GFV absichern, wenn ich mir Mühe gebe.

Denn wenn ich so tue, als wären die versicherten Grundfähigkeiten eine Tätigkeitsbeschreibung, dann kann ich eine grobe Schnittmenge zwischen dieser und meinen tatsächlichen Tätigkeiten ermitteln. Und wenn ich dann die Beitragsersparnis mit der Schnittmenge ins Verhältnis setze, kann ich eine sinnvolle Entscheidung treffen.

Mal angenommen, eine Grundfähigkeitsversicherung kostet 50 Euro im Monat, während die Berufsunfähigkeitsversicherung 150 Euro kosten würde. Ich vergleiche meine Tätigkeiten mit den Grundfähigkeiten. Da psychische Erkrankungen nur oberflächlich versichert sind und sich nur wenige andere Fähigkeiten mit meinen Tätigkeiten schneiden, komme ich auf eine Schnittmenge zur Berufsunfähigkeitsversicherung von nur 40%. Die Beitragsersparnis sind 66%.

Jetzt kann ich mir überlegen, ob es mir wichtiger ist, Beiträge zu sparen oder das Risiko best möglich zu versichern. Am Ende muss uns klar sein, dass selbst die BU-Versicherungen keine 100%-Lösung sind. Ich kann auch mal 40% außerstande sein zu arbeiten. Dann wirft mich mein Chef trotzdem raus. Aber ich bekomme kein Geld aus der BUV.

Über den Autor: Philip Wenzel ist ein bundesweit anerkannter Experte für die Berufsunfähigkeitsversicherung. Er ist Fachwirt für Versicherungen und Finanzen, Versicherungsmakler und Autor eines Fachbuches über die Berufsunfähigkeitsversicherung. Außerdem schreibt er für diverse Fachmagazine und ist als Speaker bei Versicherungen und Fachtagungen tätig.